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     Geschichten
   zum Nach-
   und Weiterdenken
 
 
 
 
 
 
 
 
Besuch von Gott

Es war einmal eine alte Frau, der hatte der liebe Gott versprochen, sie heute zu besuchen. Darauf war sie nun natürlich nicht wenig stolz. Sie scheuerte und putzte, buk und tischte auf. Und dann fing sie an, auf den lieben Gott zu warten.

Auf einmal klopfte es an die Tür. Geschwind öffnete die Alte, aber als sie sah, dass draußen nur ein armer Bettler stand, sagte sie: "Nein, in Gottes Namen, geh heute deiner Wege! Ich warte eben gerade auf den lieben Gott, ich kann dich nicht aufnehmen!" Und damit ließ sie den Bettler gehen und warf die Tür hinter ihm zu.

Nach einer Weile klopfte es von neuem. Die Alte öffnete diesmal noch geschwinder als beim ersten Mal. Aber wen sah sie draußen stehen? Nur einen armen alten Mann. "Ich warte heute auf den lieben Gott. Wahrhaftig, ich kann mich nicht um dich kümmern!" Sprach's und machte dem Alten die Tür vor der Nase zu.

Abermals eine Weile später klopfte es von neuem an die Tür. Doch als die Alte öffnete - wer stand da, wenn nicht schon wieder ein zerlumpter und hungriger Bettler, der sie inständig um ein wenig Brot und um ein Dach über dem Kopf für die Nacht bat. "Ach, lass mich in Ruhe! Ich warte auf den lieben Gott! Ich kann dich nicht bei mir aufnehmen!" Und der Bettler musste weiterwandern, und die Alte fing aufs Neue an zu warten.

Die Zeit ging hin, Stunde um Stunde. Es ging schon auf den Abend zu, und immer noch war der liebe Gott nicht zu sehen. Die Alte wurde immer bekümmerter. Wo mochte der liebe Gott geblieben sein?

Zu guter Letzt musste sie betrübt zu Bett gehen. Bald schlief sie ein. Im Traum aber erschien ihr der liebe Gott. Er sprach zu ihr: "Dreimal habe ich dich aufgesucht, und dreimal hast du mich hinausgewiesen!"

 
 
Die Blinden und der Elefant

Es waren einmal vier heilige Männer, die pilgerten seit vielen Jahren um die Welt auf der Suche nach Gott. Oft stritten sie sich und diskutierten. Der eine meinte Gott wäre das Größte im ganzen Universum, ein anderer meinte, Gott wäre auch in einem kleinen Sandkorn verborgen. Einer sagte Gott wäre Allmächtig, ein anderer Gott handle durch die Menschen. Einer sagte Gott ist unsichtbar, ein anderer meinte im Sonnenaufgang etwas von der Schönheit Gottes gesehen zu haben. Sie stritten sich auch, welche Religion nun die Richtige wäre, welche Religion die Wahrheit über Gott lehre.

Im Lauf der Jahre waren die vier heiligen Männer alt und blind geworden. Dennoch suchten sie immer weiter nach dem Ewigen. Eines Tages kamen sie in ein Land, wo es Elefanten lebten. Noch nie zuvor hatten sie von Elefanten gehört. Da sie blind waren, betasteten sie einen Elefanten mit den Händen. Jeder berührte ihn an einer anderen Stelle.

Und sie erzählten sich, was sie fühlten. Der eine, der den Rüssel des Elefanten ertastet hatte, meinte: „Das Tier gleicht einer großen Wasserpfeife, aber warm und weich.“ Der andere, der das Ohr betastete, sagte: „Das Tier ist wie ein riesiger Fächer oder ein Teppich.“ Der dritte hatte ein Bein angefasst: „Der Elefant ist wie ein Baumstamm oder wie eine feste Säule.“ Und der vierte, der den Schwanz untersuchte, war überzeugt: „Der Elefant ist wie ein Seil, vielleicht eine Schlangenart.“

Jeder der vier war es sicher, dass er Recht hatte. Jeder erzählte, was er erkannt hatte.

(Die Geschichte lehrt uns: Genauso ist es mit Gott. Immer erkennen wir nur einen Teil von ihm, niemals ihn selbst in seiner ganzen Größe. Wenn wir versuchen Gott zu verstehen, dann sind wir wie Blinde.)

 
 
Die Fußspuren Gottes

Ein französischer Gelehrter durchstreift die Wüste und hat sich als Führer einige Araber mitgenommen. Beim Sonnenuntergang breiten die Araber ihre Teppiche auf den Boden und beten. "Was machst du da?" fragte er einen. "Ich bete." "Zu wem?" "Zu Allah." "Hast du ihn jemals gesehen - betastet - gefühlt?" "Nein." "Dann bist du ein Narr!" Am nächsten Morgen, als der Gelehrte aus seinem Zelt kriecht, meint er zu dem Araber: "Hier ist heute Nacht ein Kamel gewesen!" Da blitzt es in den Augen des Arabers: "Haben Sie es gesehen, betastet, gefühlt?" "Nein." "Dann sind Sie aber ein sonderbarer Gelehrter!" "Aber man sieht doch rings um das Zelt die Fußspuren!" Da geht die Sonne auf in all ihrer Pracht. Der Araber weist in ihre Richtung und sagt: "Da, sehen Sie: die Fußspuren Gottes!"

 
 
Nur sichtbares existiert

Albert Einstein hält einen anspruchsvollen Vortrag über das Verhältnis von Raum und Zeit. Als er fertig ist, steht ein Zuhörer auf und widerspricht: „Was Sie hier ausgeführt haben, ist mir viel zu spekulativ. Wir sind doch nicht in der Kirche. Nach meinem gesunden Menschenverstand kann es nur das geben, was man sehen und überprüfen kann.“

Einstein lächelt und antwortet: „Dann kommen Sie doch bitte nach vorne und legen Ihren gesunden Menschenverstand hier auf den Tisch.“

 
 
Gott ist wie Wasser

Die Fische eines Flusses sprachen zueinander: "Man behauptet, dass unser Leben vom Wasser abhängt. Aber wir haben noch niemals Wasser gesehen. Wir wissen nicht, was Wasser ist." Da sagten einige, die klüger waren als die anderen: "Wir haben gehört, dass im Meer ein gelehrter Fisch lebt, der alle Dinge kennt. Wir wollen zu ihm gehen und ihn bitten, uns das Wasser zu zeigen."

So machten sich einige auf und kamen auch endlich in das Meer und fragten den Fisch. Als der Fisch sie angehört hatte, sagte er: "Oh, ihr dummen Fische! Im Wasser lebt und bewegt ihr euch. Aus dem Wasser seid ihr gekommen, zum Wasser kehrt ihr wieder zurück. Ihr lebt im Wasser, aber ihr wisst es nicht."

So lebt der Mensch in Gott. Gott ist in allen Dingen, und alle Dinge sind in Gott. Und doch fragt der Mensch: Kann es Gott geben? Was ist Gott?

 
 
Vielleicht gibt es Gott

Als einst ein gebildeter Mann, ein wenig von seiner Überlegenheit überzeugt, zu einem frommen jüdischen Bauern in Polen kam, um ihn in einer Diskussion zu überzeugen, wie unhaltbar doch sein Glaube an Gott sei, da ließ der Jude sich auf Beweis und Gegenbeweis erst gar nicht ein, sondern sagte nur: Bedenke, mein Sohn: Vielleicht! Vielleicht ist es wahr. Wäre es aber wahr, wäre dann nicht alles gewonnen? Und lohnte dann nicht das Wagnis, alles auf dieses Vielleicht zu setzen, alle Mühe des Glaubens?

 
 
Wo ist Gott?

Ein Mann sprach zum Rabbi: Ich gebe dir einen Gulden, wenn du mir sagst, wo Gott wohnt. Er antwortete: Und ich gebe dir zwei Gulden, wenn du mir sagen kannst, wo er nicht wohnt.

 
 
Spuren im Sand

Eines Nachts hatte ein Mann einen Traum. Er träumte, er würde mit Christus am Strand entlang spazieren. Am Himmel über ihnen erschienen Szenen aus seinem Leben. In jeder Szene bemerkte er zwei Paar Fußabdrücke im Sand, eines gehörte ihm, das andere dem Herrn.

Als die letzte Szene vor ihm erschien, schaute er zurück zu den Fußabdrücken und bemerkte, dass sehr oft auf dem Weg nur ein Paar Fußabdrücke im Sand zu sehen war. Er stellte ebenfalls fest, dass dies gerade während der Zeiten war, in denen es ihm am schlechtesten ging.

Dies wunderte ihn natürlich, und er fragte den Herrn: "Herr, du sagtest mir einst, dass ich mich entscheiden sollte, dir nachzufolgen; du würdest jeden Weg mit mir gehen. Aber ich stelle fest, dass während der beschwerlichsten Zeiten meines Lebens nur ein Paar Fußabdrücke zu sehen ist. Ich verstehe nicht, warum! Wenn ich dich am meisten brauchte, hast du mich allein gelassen."

Der Herr antwortete: "Mein lieber, lieber Freund, ich mag dich so sehr, dass ich dich niemals verlassen würde. Während der Zeiten, wo es dir am schlechtesten ging, wo du auf Proben gestellt wurdest und gelitten hast - dort, wo du nur ein Paar Fußabdrücke siehst -, es waren die Zeiten, wo ich dich getragen habe."

 
 

Vom König, der Gott sehen wollte

Ein König, der Gott sehen wollte, drohte allen Weisen und Priestern schwerste Strafen an, wenn es ihnen nicht gelänge, ihm Gott zu zeigen. Als alle schon verzweifelten, kam ein Hirte, der den König auf einen freien Platz führte, ihm die Sonne zeigte und sagte: "Sieh hin!" Sofort senkte der König geblendet den Kopf und rief: "Willst du, dass ich erblinde?" "Aber König", sagte der Hirte, "die Sonne ist doch nur ein Ding der Schöpfung, ein schwacher Abglanz seiner Größe ... Wie willst du Ihn selbst aushalten können!"

 
 
Das Nähste sieht man nicht

Zu einem Weisen kam einer und klagte: Ich suche nun so viele Jahre nach Gott und kann ihn nicht finden. Der Weise sah ihn freundlich an und erzählte:

Es war einmal ein Mann namens Nasruddin. Er ging immer hin und her über die Grenze, an verschiedenen Zollstellen, einmal mit einem Esel, einmal auch mit zweien oder dreien. Auf den Eseln transportierte er große Lasten Stroh. Die Zöllner wussten, dass er ein bekannter Schmuggler war, und so durchsuchten sie ihn immer wieder, stachen mit Stöcken in die Strohballen, und manchmal verbrannten sie das Stroh und suchten in der Asche nach dem, was er schmuggelte. Aber sie fanden nie etwas, und Nasruddin wurde reicher und reicher.

Schließlich wurde er alt, zog in ein anderes Land und setzte sich zur Ruhe. Dort begegnete ihm einer der früheren Grenzwächter und sagte: "Nasruddin, jetzt könnt Ihr es mir ja sagen. Was habt Ihr geschmuggelt, das wir nie gefunden haben?" Nasruddin lächelte und antwortet: "Esel!"

Siehst du, sagte der Weise, so sucht mancher nach Gott, und Gott ist vor seinen Augen.

 
 
Das große Geheimnis

Einst ging Augustinus - so wird erzählt - am Meer spazieren und dachte über das Geheimnis der Dreifaltigkeit nach. Da bemerkte er ein Kind, das mit seinem Eimerchen Wasser aus dem Meer in einen kleinen abgegrenzten Bereich schöpfte. "Was machst du da?" "Ich möchte das Meer in meinen Teich schöpfen!" Da lachte Augustinus: "Das wird dir nie gelingen!" Da richtete sich das Kind auf und sagte: "Ich mache es genauso wie du: du willst mit deinem kleinen Verstand das Geheimnis des dreieinigen Gottes verstehen!"

 
 
Die ersten Schritte

Ein Schüler fragte den Rabbi: "Wie geht das zu, dass einer, der an Gott hängt und sich ihm nah weiß, zuweilen eine Unterbrechung und Entfernung erfährt?"

Der Rabbi erklärt: "Wenn ein Vater seinen kleinen Sohn will gehen lehren, stellt der ihn erst vor sich hin und hält die eigenen Hände zu beiden Seiten ihm nah, dass er nicht falle, und so geht der Knabe zwischen den Vaterhänden auf den Vater zu. Sowie er aber zum Vater herankommt, rückt er um ein weniges ab und hält die Hände weiter auseinander, und so fort, dass das Kind gehen lerne."

 
 
 
 
 
Die Rose

Während seines Pariser Aufenthaltes ging Rilke täglich um die Mittagszeit in Begleitung einer jungen Französin an einer alten Bettlerin vorbei. Stumm und unbeweglich saß die Frau da und nahm die Gaben der Vorübergehenden ohne jedes Anzeichen von Dankbarkeit entgegen. Der Dichter gab ihr zur Verwunderung seiner Begleiterin, die selbst immer eine Münze bereit hatte, nichts. Vorsichtig darüber befragt, sagte er: "Man müsste ihrem Herzen schenken, nicht ihrer Hand." An einem der nächsten Tage erschien Rilke mit einer wundervollen, halberblühten Rose. Ah, dachte das Mädchen, eine Blume für mich, wie schön! Aber er legte die Rose in die Hand der Bettlerin.

Da geschah etwas Merkwürdiges: Die Frau stand auf, griff nach seine Hand, küsste sie und ging mit der Rose davon. Eine Woche lang blieb sie verschwunden. Dann saß sie wieder auf ihrem Platz, stumm, starr wie zuvor. "Wovon mag sie die ganzen Tage über gelebt haben?" Rilke antwortete: "Von der Rose!"

 
 
Rufmord

Eine geschwätzige Frau, die Freude daran hatte, andere Menschen zu verleumden, bekam von ihrem Beichtvater folgende seltsame Buße auf: "Gehen Sie nach Hause, schlitzen Sie ein Kopfkissen auf und streuen Sie die Federn auf die Straße. Dann kommen Sie wieder zu mir!" Als sie wiederkam, befahl ihr der Priester: "Jetzt sammeln Sie alle Federn wieder ein!" Darauf die Frau: "Aber das geht doch nicht mehr. Die sind doch jetzt in alle Winde zerstreut!" Da antwortete er: "Genauso wie Ihre bösen Worte über andere. Das können Sie gar nicht mehr ganz wiedergutmachen!"

 
 
Sein Kreuz tragen

Eine Legende aus dem Mittelalter berichtet, wie Gott einmal Erbarmen hatte mit einem Menschen, der sich über sein zu schweres Kreuz beklagte. Er führte ihn in einen Raum, wo alle Kreuze der Menschen aufgestellt waren, und sagte ihm: "Wähle!" Der Mensch machte sich auf die Suche. Da sah er ein ganz dünnes, aber dafür war es länger und größer. Er sah ein ganz kleines, aber als er es aufheben wollte, war es schwer wie Blei. Dann sah er eins, das gefiel ihm, und er legte es auf seine Schultern. Doch da merkte er, wie das Kreuz gerade an der Stelle, wo es auf der Schulter auflag, eine scharfe Spitze hatte, die ihm wie ein Dorn ins Fleisch drang. So hatte jedes Kreuz etwas Unangenehmes. Und als er alle Kreuze durchgesehen hatte, hatte er immer noch nichts Passendes gefunden. Dann entdeckte er eins, das hatte er übersehen, so versteckt stand es. Das war nicht zu schwer, nicht zu leicht, so richtig handlich, wie geschaffen für ihn. Dieses Kreuz wollte er in Zukunft tragen. Aber als er näher hinschaute, da merkte er, dass es sein Kreuz war, das er bisher getragen hatte.

 
 
Die Hose

Ein Mann in besten Jahren hatte sich eine Hose gekauft. Sie gefiel ihm sehr gut, wenn auch die Hosenbeine um etwa drei Zentimeter zu lang waren. Er dachte sich: Ich habe in meinem Haushalt drei Frauen; eine von ihnen wird die Kürzung besorgen. Zu Hause hängte er die Hose an den Haken und trug seiner Frau sein Anliegen vor. Doch diese war gerade nicht in bester Stimmung und zeigte ihm die kalte Schulter. Auch bei seiner Schwiegermutter konnte er nicht landen. Sie war in eine Lektüre vertieft und wollte sich nicht stören lassen. Als er ihr Zimmer verließ, stieß er im Hausflur auf seine Tochter. Es sah so aus, als hätten sich die Damen abgesprochen, denn auch die Tochter erklärte, dass ihr die Sache sehr ungelegen komme, da sie gerade ausgehen wolle. Da packte den dreimal Abgewiesenen der Zorn. Lautstark erklärte er, dass mit ihm vor Mitternacht nicht zu rechnen sei, und schlug hinter sich die Haustüre zu.

Es dauerte nicht lange, bis die Ehefrau erkannte, dass jetzt etwas geschehen musste. Unauffällig griff sie nach der Hose, nahm die Kürzung vor und hängte sie an ihren Platz zurück. Aber auch in der Schwiegermutter wuchs die Reue. Geräuschlos schlich nun sie zur Hose und schnitt drei Zentimeter weg. Als die Tochter gegen 23 Uhr nach Hause kam und die Hose am Haken hängen sah, da war auch sie bereit, ihre Gesinnung zu ändern. "Jetzt wird er sich freuen", dachte sie, als sie die Arbeit beendet hatte. Und wie er sich bei seiner Rückkehr freute ...

 
 

Von der Rettungsstation zum Clubhaus

An einer gefährlichen Küste machten vor Zeiten ein paar Leute eine Rettungsstation für Schiffbrüchige auf. Zu dieser Rettungsstation gehörte nur ein einziges Boot. Mit diesem wagte sich die kleine, mutige Mannschaft immer wieder, bei Tag und bei Nacht, auf das Meer hinaus, um Schiffbrüchige zu retten. Es dauerte nicht lange, bis dieser kleine Stützpunkt bald überall bekannt war. Viele der Geretteten und auch andere Leute aus der Umgebung waren gern bereit, die armselige Station mit Geld zu unterstützen. Die Zahl der Gönner wuchs und wuchs. Mit dem Geld, das sie spendeten, wurde die Rettungsstation großzügig ausgebaut, immer schöner und komfortabler. Sie wurde allmählich zu einem beliebten Aufenthaltsort und diente schließlich den Männern als eine Art Clubhaus. Immer mehr Mannschaftsmitglieder weigerten sich nun, auszufahren und Schiffbrüchige zu retten. Sie wollten den Rettungsdienst überhaupt einstellen, weil er unangenehm und dem normalen Clubbetrieb hinderlich sei. Ein paar Mutige, die den Standpunkt vertraten, dass Lebensrettung ihre vorrangige Aufgabe sei, trennten sich von ihnen. Nicht weit davon entfernt begannen sie, mit geringen Mitteln eine neue Rettungsstation aufzubauen. Aber auch sie erfuhr nach einiger Zeit dasselbe Schicksal: Ihr guter Ruf verbreitete sich schnell, es gab neue Gönner, und es entstand ein neues Clubhaus. So kam es dann schließlich zur Gründung einer dritten Rettungsstation. Doch auch hier wiederholte sich die gleiche Geschichte ... Wer heute diese Küste besucht, findet längs der Uferstraße eine beträchtliche Reihe exklusiver Clubs. Immer noch wird die Küste vielen Schiffen zum Verhängnis; nur - die meisten Schiffbrüchigen ertrinken.

 
 
Das Geheimnis der Güte Gottes

In einem schönen Garten standen eine Rose, eine Sonnenblume, ein Stiefmütterchen, eine Gladiole, ein Gänseblümchen und ein Vergissmeinnicht.

Eines Tages kam jemand in diesen schönen Garten, sah die vielen schönen Blumen und bewunderte sie. Dann nahm er ein Metermaß aus seiner Tasche und fing an, alle Blumen zu messen: ihre Größe und die Weite ihrer Blüte.

Dann ging der Mann wieder weg.

Selbstbewusst stand die große, weite Sonnenblume auf ihrem hohen Stängel und dachte: "So groß und stark wie ich ist keiner!!!" Darüber regte sich die Rose auf und sagte: "Aber keiner duftet so herrlich und ist so schön wie ich." "Pfh ...", dachte die Gladiole, "wie können die beiden so reden! Was heißt hier Größe und Duft! Keine von beiden hat doch so viele schöne Blüten wie ich!!"

Das Stiefmütterchen, das Gänseblümchen und das Vergissmeinnicht wurden kleiner und kleiner, als sie das alles hörten. Da tröstete das Gänseblümchen das Vergissmeinnicht und sagte: "Zum Glück werden wir von vielen Menschen sehr geliebt." "Ja", sagte das Vergissmeinnicht, "nicht umsonst nennt man mich ,Vergissmeinnicht'". Da sprach das Stiefmütterchen: "Wie könnt ihr nur so denken! Wie könnt ihr euch messen nach Größe und Stärke, nach Duft und Farbenpracht! Habt ihr vergessen: ob groß oder klein, ob stark oder schwach, jedem von uns gab der Schöpfer sein eigenes Kleid, in seinen Augen sind wir alle gleich schön. Jedem von uns schenkt er im gleichen Maße das Licht und die Wärme der Sonne. Jeden von uns tränkt er in gleichem Maße mit seinem Regen. Das ist das Geheimnis seiner Güte."

 
 
Wir verkaufen nur den Samen

Ein junger Mann betrat im Traum einen Laden. Hinter der Theke stand ein Engel. Hastig fragt er ihn: "Was verkaufen Sie, mein Herr?" Der Engel antwortete freundlich: "Alles, was Sie wollen." Der junge Mann begann aufzuzählen: "Dann hätte ich gern das Ende aller Kriege in der Welt, bessere Bedingungen für die Randgruppen der Gesellschaft, Beseitigung der Elendsviertel in Lateinamerika, Arbeit für die Arbeitslosen, mehr Gemeinschaft und Liebe in der Kirche und ... und ..."

Da fiel ihm der Engel ins Wort: "Entschuldigen Sie, junger Mann, Sie haben mich falsch verstanden. Wir verkaufen keine Früchte, wir verkaufen nur den Samen."

 
 

Wie kann man nur an Gott glauben?

In einem Gespräch über Naziterror und Judenverfolgung fragte man einen Rabbi: "Wie kannst du nach dem, was an uns geschehen ist, noch an Gott glauben?" Die Antwort des Frommen bestand aus der Gegenfrage: "Wie kannst du nicht an Gott glauben, nach dem, was geschehen ist?"

 
 
Annas Traurigkeit

Als Annas Mann gestorben war und sie ganz allein in ihrem Haus leben musste, zog die Traurigkeit bei ihr ein. Sie kam ohne zu klingeln, zu klopfen und zu fra­gen. Die Traurigkeit huschte durch das Schlüsselloch und begleitete Anna auf Schritt und Tritt. Groß und stark wollte sie in diesem Hause werden.

Zuerst war Anna froh, dass sie nicht mehr so allein war. Doch dann tat ihr der Rücken weh, weil die Traurigkeit den ganzen Tag auf ihrer Schulter hockte. Sie musste sie durch alle Zimmer schleppen. Die Traurigkeit ließ sich nicht mehr ab­schütteln.

„Mach dich nicht so schwer", bat Anna. Die Traurigkeit verzog sich schmollend für einen Augenblick in die Ecke. Aber je mehr sie mit Anna allein war, umso frecher wurde sie. Sie wich nicht mehr von Annas Schulter und mischte sich überall ein. Es gefiel ihr nicht, wenn Anna sich die Zähne putzte und die Haare kämmte. „Für wen machst du dich auf den weiten Weg ins Bade­zimmer, wo doch eh keiner kommt", sag­te die Traurigkeit. Sie schimpfte, wenn Anna den Blumen frisches Wasser gab: „Wer gibt dir etwas?"

Wenn es klingelte, machte sich die Traurigkeit auf dem Sofa so breit, dass selbst eine Bohnenstange keinen Platz mehr gefunden hätte. Ging Anna trotz­dem zur Tür, sprang die Traurigkeit ihr in den Weg und flüsterte ihr zu: „Drei Tage hast du dich nicht gewaschen, so kannst du keinen Menschen einlassen!"

Ja, nun merkte Anna es selbst. Sie roch schon ein wenig, und so wollte sie nie­mandem öffnen. Obwohl es der Traurig­keit überhaupt nicht passte, badete Anna. Sie putzte sich die Zähne und kämmte sich ihr Haar. Dann ging sie zur Tür, aber dort war niemand mehr. Die Traurigkeit hopste vor Freude auf ihrem Rücken.

Als es eine Stunde später noch einmal klingelte, wendete die Traurigkeit alle Kraft auf, um Anna in den Sessel zu drücken. „Es klingelt nicht an der Tür, sondern in deinen Ohren", redete die Traurigkeit auf sie ein. Doch noch wusste Anna, was sie hörte. Obwohl die Traurig­keit sich an ihre Beine hängte und jeden Schritt zu verhindern suchte, schaffte Anna es bis zur Tür. Sie öffnete, und vor ihr stand die Nachbarin mit einem Blu­menstrauß. „Herzlichen Glückwunsch", sagte sie, und erst da fiel Anna ein, dass heute ihr Geburtstag war.

Die Nachbarin sprach mit ihr sofort über die Traurigkeit, als hätte sie auch schon Besuch von ihr gehabt. Und wäh­rend die beiden Frauen über die Traurig­keit redeten, wurde diese selbst immer wütender. Sie sprang wie ein Kobold von Annas Schulter auf die Schulter der Nachbarin und kreischte: „Ihr alten Trat­schen, ich kann es nicht leiden, wenn man über mich spricht. Total fertig macht mich das!"

Doch die beiden Frauen hörten nicht darauf. Als die Nachbarin sich verab­schiedete, fühlte sich Anna viel leichter. Die Traurigkeit hockte mit verbissenem Gesicht in einer Ecke und drohte mit ih­rer kleinen Faust: „Anna, das sag ich dir, wenn du so weitermachst, dann hau ich hier ab."

 
 
Auf der Durchreise

Ein Tourist darf in einem Kloster bei Kartäusermönchen übernachten. Er ist sehr erstaunt über die spartanische Einrichtung ihrer Zellen und fragt die Mönche: "Wo habt Ihr Eure Möbel?" Schlagfertig fragen die Mönche zurück: "Ja, wo haben Sie denn Ihre?" "Meine?" erwidert darauf der Tourist verblüfft. "Ich bin ja nur auf der Durchreise hier!" "Eben", werfen da die Mönche ein, "das sind wir auch."

 
 
Das ganze Gesetz

Ein Mann kam zum berühmten Rabbi Schammai und sagte: "Ich will Jude werden, wenn du mir das Wichtigste der jüdischen Religion in der Zeitspanne sagen kannst, wie ich auf einem Fuß stehen kann." Der Rabbi dachte an die fünf Bücher Mose und an all die jüdischen Auslegungen zu diesen Büchern, die angeben, was alles wichtig ist, um das Heil zu erlangen. Er musste zugeben, dass es ihm unmöglich sei, alles in ein paar Sätzen zusammenzufassen.

Darauf ging der Mann zur Konkurrenz, zu einem anderen berühmten Rabbi, zu Hillel, mit derselben Bitte. Der antwortete sofort: ",Was dir selbst widerwärtig ist, das tue auch deinem Nächsten nicht an!' Das ist das ganze Gesetz. Alles andere ist Auslegung!"

 
 
Der Axtdieb

Ein Mann hatte seine Axt verloren und vermutete, dass der Sohn des Nachbarn sie ihm gestohlen habe. Er beobachtete ihn daher genau: sein Gang, sein Blick war ganz der eines Axtdiebes. Alles, was er tat, sah nach einem Axtdieb aus.

Einige Zeit später fand der Mann zufällig die Axt unter einem Bretterhaufen. Am nächsten Tag sah er den Sohn des Nachbarn: sein Gang war nicht der eines Axtdiebes, auch sein Blick war nicht der eines Axtdiebes.

 
 
Beleidigt

Der berühmte Clown Augustin erhält eines Tages einen Brief, der voll ist von falschen Behauptungen und schlimmen Beschuldigungen. Seine Freunde raten ihm, den Absender des Briefes zu verklagen. Auch ein Clown könne ja nicht immer nur lustig sein. Aber Augustin winkt ab. "Ich möchte das anders regeln", sagt der Clown. Er schickt den Brief zurück an den Absender und schreibt dazu: "Diesen unverschämten Brief habe ich bekommen. Ich schicke ihn nun an Sie, damit Sie wissen, dass irgendjemand in Ihrem Namen beleidigende Briefe verschickt. Mit freundlichen Grüßen. Ihr Augustin."

 
 
Christophorus

Die Legende von Christophorus erzählt: Ein Mann will nur den Stärksten in der Welt dienen. Er macht sich auf die Suche. Zuerst diente einem mächtigen König. Aber beim Lied eines durchreisenden Bänkelsängers beobachtet er, wie der König beim Wort "Teufel" zusammenzuckt. Zur Rede gestellt, bekennt der König, dass er nur vor einem in der Welt Angst hat, vor dem Satan. Und "Phorus", wie der fragende Mann genannt wird, macht sich auf die Suche nach dem Bösen. Er tritt in den Dienst eines gefürchteten Bandenchefs, der mit seiner Truppe raubend und mordend durch die Lande zieht. Bis auch der einem Kreuz am Weg ausweicht. Jetzt sucht Phorus natürlich nach dem, der noch stärker ist. Aber die Suche gestaltet sich schwierig. Erst ein Einsiedler gibt ihm der Hinweis, er solle die Menschen durch den angrenzenden reißenden Fluss tragen, weil er so groß und stark sei. Dann diene er Christus, dem höchsten Herrn. Eines Nachts hört er eine Kinderstimme rufen: "Phorus, hol mich rüber!" Vor seiner Hütte kann er aber niemanden finden. Erst beim dritten Ruf sieht er ein Kind, das er auf seine Schultern setzt. Im Wasser wird ihm die Last immer schwerer, das Wasser wird höher und höher; er fürchtet zu ertrinken und glaubt, die ganze Welt läge auf seinen Schultern. "Mehr als die Welt trägst du auf deinen Schultern", sagt ihm das Kind, "du trägst den Herrn, der diese Welt erschaffen hat. Ich bin Jesus Christus, dem du in dieser Arbeit dienst." Und es drückt ihn unter Wasser und tauft ihn. Auf sein Geheiß hin steckt Christo-Phorus (= Christusträger) seinen Stab in den Boden, der am nächsten Morgen grünt und blüht und Früchte trägt.

 
 
Die Stille

Vor langer, langer Zeit bekam ein Einsiedler Besuch von einer Gruppe Menschen aus allen Berufen und Altersklassen. "Welchen Sinn hat das Leben in der Einsamkeit", fragten sie ihn. Der Einsiedler schöpfte gerade Wasser aus einer Zisterne. Er bat die Fremden, einen Blick in die Tiefe zu wagen. "Was seht ihr?", fragte er sie. "Wir sehen nichts", antworteten die Besucher. Nach einer Weile wiederholte der Einsiedler seine Bitte. Die Leute blickten abermals in die Tiefe hinab. "Jetzt sehen wir uns selber“, berichteten sie. "Unsere Gesichter spiegeln sich im Wasser." Der Einsiedler sagte: "Weil ich vorhin Wasser schöpfte, war Unruhe in der Zisterne. Jetzt ist das Wasser ruhig. Das ist die Erfahrung der Stille: Man sieht sich selber."

 
 
Der Fischer am Strand

Ein Fischer sitzt am Strand und blickt auf das Meer, nachdem er die Ernte seiner mühseligen Arbeit auf den Markt gebracht hat. Warum er nicht einen Kredit aufnehme, fragt ihn ein Tourist. Dann könne er einen Motor kaufen und das Doppelte fangen. Das brächte ihm Geld für einen Kutter und einen zweiten Mann ein. Zweimal täglich auf Fang hieße das Vierfache verdienen! Warum er eigentlich herumtrödele? Auch ein dritter Kutter wäre zu beschaffen; das Meer könnte viel besser ausgenutzt werden, ein Stand auf dem Markt, Angestellte, ein Fischrestaurant, eine Konservenfabrik - dem Touristen leuchten die Augen. "Und dann?" unterbricht ihn der Fischer. "Dann brauchen Sie gar nichts mehr zu tun. Dann können Sie den ganzen Tag hier sitzen und glücklich auf Ihr Meer hinausgucken!" - "Aber das tue ich doch jetzt schon", sagt darauf der Fischer.

 
 
Der Großvater und der Enkel

Ein Vater war sehr alt und zittrig geworden, so dass er beim Essen Suppe auf das Tischtuch schüttete. Manchmal floss ihm auch etwas aus dem Mund. Sein Sohn und dessen Frau ekelten sich davor. Schließlich setzten sie ihn hinter den Ofen in die Ecke. Dort saß er nun betrübt und allein und sah zum Tisch. Einmal entfiel seinen zittrigen Händen auch noch das Schüsselchen, aus dem er aß, und zerbrach. Die junge Frau schimpfte ihn aus. Sie kaufte ihm eine hölzerne Schüssel; daraus musste er nun essen.

Eines Tages trug der Enkel von vier Jahren kleine Brettchen zusammen. "Was machst du da?" fragte ihn der Vater. "Ich mache einen kleinen Topf", antwortete das Kind, "daraus sollen Vater und Mutter essen, wenn sie alt sind."

Da sahen sich Vater und Mutter an. Sie holten sofort den alten Großvater an den Tisch. Und sie sagten auch nichts mehr, wenn er ein wenig verschüttete.

 
 
Der gerechte Vater

Ein junger Mann war bei einem älteren Freund zu Gast, dessen Gerechtigkeitssinn gerühmt wurde. Er sah, wie der ältere mit seinen Kindern umging, und er wunderte sich sehr: "Du sagst, dass du jedes deiner Kinder so liebst wie das andere. Nun sehe ich aber, dass du sie unterschiedlich behandelst. Wo bleibt da die Gerechtigkeit?" "Sie besteht darin", antwortet der Ältere, "dass ich mich bemühe, jedem Kind gerecht das zuzuteilen, was es braucht. Würde ich sie alle gleich behandeln, wäre ich wohl sehr ungerecht."

 
 
Der Frosch im Brunnen

Ein Frosch lebte in einem Brunnen. Er hatte dort seit langer Zeit gelebt. Er war dort geboren und aufgewachsen und war immer noch ein kleiner und unbedeutender Frosch. Nun kam eines Tages ein anderer Frosch, der im Meer gelebt hatte, und fiel in den Brunnen.

"Woher kommst du?" fragte der Forsch im Brunnen. "Ich komme aus dem Meer", sagte der andere Frosch. "Das Meer, wie groß ist das? Ist es so groß wie mein Brunnen?" fragte der Frosch im Brunnen, und er machte einen Satz von der einen Seite des Brunnens auf die andere.

"Mein Freund", sagte der Frosch vom Meer, "wie kannst du das Meer mit deinem kleinen Brunnen vergleichen?" Da machte der Frosch im Brunnen einen zweiten Sprung und fragte: "Ist dein Meer so groß?" - "Was sagst du da für einen Unsinn und vergleichst das Meer mit deinem Brunnen!" sagte der Frosch vom Meer.

"Nun denn", sagte der Brunnenfrosch, "nichts kann größer sein als mein Brunnen. Es kann nichts Größeres geben als dies. Dieser Kerl ist ein Lügner. Werft ihn hinaus!"

 
 
Die drei Mäuse

Es gab drei Mäuse, die fielen in ein Fass Milch. Als sie nicht wieder heraus konnten, war unter ihnen einer, ein Optimist, der sagte: "Ach, wir werden schon rauskommen, wir warten nur ab, bis jemand kommt." Er schwamm so lange herum, bis seine Atemwege von der Milch verklebt waren. Dann ging er unter.

Der andere war ein Pessimist, der sagte: "Man kann ja überhaupt nichts machen!" Und dabei ging er unter.

Der dritte war ein Realist. Er sagte: "Wollen wir doch strampeln, man kann nie wissen. Strampeln wir!" Und so strampelte er stundenlang. Plötzlich spürte er etwas Festes unter seinen Füßen. Er hatte aus der Milch Butter gestrampelt. Nun kletterte er auf den Butterkloß und sprang hinaus.

 
 
Der Wert eines Brotes

Einen aufschlussreichen Test unternahm kürzlich ein englischer Journalist: Er kaufte ein Dreipfundbrot und stellte sich damit an belebte Straßenecken verschiedener Städte. Die Vorübergehenden forderte er auf, für dieses Brot eine Stunde lang zu arbeiten. Seine Ergebnisse:

In Hamburg wurde er ausgelacht.

In New York von der Polizei festgenommen.

Im afrikanischen Nigeria waren mehrere Personen bereit, für dieses Brot drei Stunden zu arbeiten.

Im indischen New Delhi hatten sich rasch mehrere hundert Personen angesammelt, die alle für dieses Brot einen ganzen Tag arbeiten wollten...

 
 
Das dreifache Sieb

Eines Tages kam ein Bekannter zum griechischen Philosophen Sokrates gelaufen.

"Höre, Sokrates, ich muss dir berichten, wie dein Freund...."

"Halt ein" unterbrach ihn der Philosoph.

"Hast du das, was du mir sagen willst, durch drei Siebe gesiebt?"

"Drei Siebe? Welche?" fragte der andere verwundert.

"Ja! Drei Siebe! Das erste ist das Sieb der Wahrheit. Hast du das, was du mir berichten willst, geprüft ob es auch wahr ist?"

"Nein, ich hörte es erzählen, und..."

"Nun, so hast du sicher mit dem zweiten Sieb, dem Sieb der Güte, geprüft. Ist das, was du mir erzählen willst - wenn es schon nicht wahr ist - wenigstens gut?"

Der andere zögerte. "Nein, das ist es eigentlich nicht. Im Gegenteil....."

"Nun", unterbrach ihn Sokrates. "so wollen wir noch das dritte Sieb nehmen und uns fragen ob es notwendig ist, mir das zu erzählen, was dich so zu erregen scheint."
"Notwendig gerade nicht...."

"Also", lächelte der Weise, "wenn das, was du mir eben sagen wolltest, weder wahr noch gut noch notwendig ist, so lass es begraben sein und belaste weder dich noch mich damit."

 
 
Ein Teller Suppe

Es kaufte sich eine ältere Frau im Schnellrestaurant einen Teller Suppe. Behutsam trug sie die dampfende Köstlichkeit an einen Stehtisch und hängte ihre Handtasche darunter. Dann ging sie noch einmal zur Theke: den Löffel hatte sie vergessen.

Als sie zum Tisch zurückkehrte, stand dort doch tatsächlich einer jener Afrikaner - schwarz, Kraushaar, bunt wie ein Paradiesvogel - und löffelte die Suppe. Zuerst schaute die Frau ganz verdutzt; dann aber besann sie sich, lächelte ihn an und begann, ihren Löffel zu dem seinen in den Teller zu tauchen. Sie aßen gemeinsam.

Nach der Mahlzeit - unterhalten konnten sie sich kaum - spendierte der junge Mann ihr noch einen Kaffee. Er verabschiedete sich höflich. Als die Frau gehen wollte und unter den Tisch zur Handtasche greifen will, findet sie nichts - alles weg. Also doch ein gemeiner, hinterhältiger Spitzbube. Ich hätte es mir doch gleich denken können - Gemeinheit! Enttäuscht, mit rotem Gesicht schaut sie sich um. Er ist spurlos verschwunden. Aber am Nachbartisch erblickt sie einen Teller Suppe, inzwischen kalt geworden. Darunter hängt ihre Handtasche.

 
 
Das Hemd des Zufriedenen

Ein italienisches Märchen erzählt: Ein König hatte einen Sohn, der stets unzufrieden auf dem Balkon saß und sich langweilte. Er wusste selbst nicht, was ihm fehlte. Die Weisen rieten: "Majestät, sucht einen ganz zufriedenen Menschen und vertauscht sein Hemd mit dem Eures Sohnes!" Alle Beamten wurden ausgesandt, einen solchen zu entdecken - vergebens! Da stößt der König bei der Jagd auf einen fröhlich singenden Arbeiter im Weinberg. Er gesteht: "Ich bin restlos zufrieden, möchte weder mit Papst noch König tauschen." Der König bittet: "Mein Sohn ist sterbenskrank. Er braucht als Medizin das Hemd eines Zufriedenen. Ich werde dir jeden Preis zahlen." - "Majestät, da kann ich nicht dienen - ich habe kein Hemd!"

 
 
Löwenzahn

Ein Mann beschloss, einen Garten anzulegen. Er bereitete den Boden vor und streute den Samen wunderschöner Blumen aus. Als die Saat aufging, wuchs auch der Löwenzahn. Da versuchte der Freund mit mancherlei Methode, des Löwenzahns Herr zu werden, und macht sich, als alles nicht half, auf, um in der fernen Hauptstadt den Hofgärtner zu befragen.

Der weise alte Gärtner, der schon so manchen Park angelegt und allzeit bereitwillig Rat erteilt hatte, gab vielfältig Auskunft, wie der Löwenzahn loszuwerden sei. Aber es erwies sich, dass der Fragende schon alles erprobt hatte.

So saßen die beiden eine Zeitlang schweigend beisammen, bis am Ende der Gärtner den Ratlosen schmunzelnd anschaute und sagte: "Wenn denn alles, was ich dir vorgeschlagen habe, nichts genützt hat, dann gibt es nur einen Ausweg: Lerne den Löwenzahn zu lieben!"

 


Der zähnefletschende Hund

Ein indisches Märchen erzählt von einem Hund, der in einem Zimmer umherirrte, in dem alle Wände Spiegel waren. Er sah plötzlich viele Hunde. Da wurde er wütend, fletschte die Zähne und knurrte. Alle Hunde im Spiegel wurden ebenso wütend, fletschten die Zähne und knurrten. Der Hund erschrak und fing an, im Kreis herumzulaufen, solange bis er schließlich tot zusammenbrach.

Hätte er nur ein einziges Mal mit dem Schwanz gewedelt: Alle seine Spiegelbilder hätten ihm ein freundliches Bild zurückgeworfen!

 
 
Die beiden Fuhrleute

Zwei Fuhrleute begegneten sich mit ihren Wagen in einem Hohlweg und konnten einander nicht gut ausweichen. "Fahre mir aus dem Wege!" rief der eine. "Ei, so fahre du mir aus dem Wege!" rief der andere. "Ich will nicht!" sagte der eine. "Ich brauche nicht!" sagte der andere. Weil keiner nachgab, kam es zu heftigem Zank und zu Scheltworten.

"Höre, du", sagte endlich der erste, "jetzt frage ich dich zum letzten Mal: Willst du mir aus dem Wege fahren oder nicht? Tust du es nicht, so mache ich es mit dir, wie ich es heute schon mit einem gemacht habe." Das schien dem andern doch eine bedenkliche Drohung. "Nun", sagte er, "so hilf mir wenigstens, deinen Wagen ein wenig beiseite schieben; ich habe ja sonst nicht Platz, um mit dem meinigen auszuweichen!" Das ließ sich der erste gefallen, und in wenigen Minuten war die Ursache des Streites beseitigt.

Ehe sie schieden, fasste sich der, der aus dem Wege gefahren war, noch einmal ein Herz und sagte zu dem andern: "Höre, du drohtest doch, du wolltest es mit mir machen, wie du es heute schon mit einem gemacht hättest! Sage mir doch, wie hast du es mit dem gemacht?"

"Ja, denke dir", sagte der andere, "der Grobian wollte mir nicht aus dem Wege fahren, da - fuhr ich ihm aus dem Wege!"

 
 
Die drei Arbeiter

Als man das Münster zu Freiburg baute, fragte man drei Steinmetzen nach ihrer Arbeit. Der eine saß und haute Quader zu Recht für die Mauern der Wand. "Was machst du da?" "Ich haue Steine."

Ein anderer mühte sich um das Rund einer kleinen Säule für das Blendwerk der Tür. "Was machst du da?" "Ich verdiene Geld für meine Familie."

Ein dritter bückte sich über das Ornament einer Kreuzblume für den Fensterbogen, mit dem Meißel vorsichtig tastend. "Was machst du da?" "Ich baue am Dom."

 
 
Die Stachelschweine

An einem eisigkalten Wintertag schmiegten sich mehrere Stachelschweine eng aneinander, um sich durch die gegenseitige Wärme vor dem Erfrieren zu schützen. Bald jedoch spürten sie untereinander ihre verletzenden Stacheln und rannten wieder auseinander. Das Bedürfnis, sich zu wärmen, brachte sie wieder zusammen. Abermals waren es die Stacheln, die sie trennten. Das wiederholte sich mehrere Male, bis die Stachelschweine - zwischen zwei Übeln hin- und hergerissen - herausgefunden hatten, dass sie sich in mittlerer Entfernung voneinander wärmen konnten, ohne sich mit ihren Stacheln zu verletzen.

 
 
Sei du

In einer chassidischen Geschichte erzählt Rabbi Susja: "In der kommenden Welt wird man mich nicht fragen: ,Warum bist du nicht Mose gewesen?' Man wird mich vielmehr fragen: ,Warum bist du nicht Susja gewesen?' Man wird mich nicht fragen: ,Warum hast du nicht das Maß erreicht, das der größte und gewaltigste Glaubende unserer Religion gesetzt hat?' Sondern man wird mich fragen: ,Warum hast du nicht das Maß erfüllt, das Gott dir ganz persönlich gesetzt hat? Warum bist du nicht das geworden, was du eigentlich hättest werden sollen?'"

 
 
Diener sein

Während der ersten Semester meines Studiums erfuhr ich in einem Seminar, dass man im heißen Wüstensand Ägyptens einen kleinen Papyrusfetzen gefunden hatte, auf dem nur ein Satz stand: "Wer der Größte unter euch sein will, der sei euer aller Diener." Unser Professor nahm an dieser Stelle seine Brille ab, schaute uns nachdenklich, aber sehr freundlich an und erklärte nach einer kurzen Pause: "Wenn es von dem ganzen Neuen Testament nur dieses eine Wort Jesu gäbe, wäre das für mich ausreichender Anlass, um entweder Christ zu werden oder zu bleiben."

 
 
Ein Kreislauf der Freude

Eines Tages kommt ein Landwirt, den der Bruder Pförtner gut kennt. In der Hand hat er eine große Weintraube mit herrlich gelben saftigen Beeren.

"Bruder Pförtner, ich habe die schönste Weintraube aus meinem Weinberg mitgebracht. Raten Sie mal, wem ich damit eine Freude machen will?" Der Bruder überlegt. "Wahrscheinlich dem Abt oder sonst einem Pater, ich weiß es nicht." "Ihnen!" - "Mir?" Der Bruder wird ganz rot vor Freude. "Mir? Sie haben an mich gedacht?" Er findet kaum Worte. "Ach ja", sagt der Bauer glücklich, "wir sprechen so oft miteinander, und ich brauche so oft Ihre Hilfe, warum soll ich Ihnen nicht mal eine Freude machen?" Und die Freude, die er im Gesicht de anderen sieht, die macht ihn selbst innerlich froh.

Der Bruder Pförtner legt die Weintraube vor sich hin. Ach, die ist viel zu schön, um etwas davon abzupflücken. Den ganzen Nachmittag erfreut er sich an ihrem Anblick. Dann hat er eine Idee: "Wenn ich die jetzt unserem Vater Abt schenke, was für eine Freude wird der haben!" Und der Bruder gibt die Traube weiter.

Der Abt freut sich wirklich. Und als er abends einen kranken Pater in seinem Zimmer besuchen will, da kommt ihm der Gedanke: "Den kannst du sicher mit dieser Traube frohmachen." So wandert die Traube weiter. Und sie bleibt nicht bei dem Kranken. Sie wandert immer weiter Schließlich bringt sie ein Mönch wieder zum Bruder Pförtner, um ihn eine Freude zu machen. Er wusste natürlich nicht, dass die Weintraube von ihm ausgegangen war. So hatte sich der Kreis geschlossen. Ein Kreis der Freude.

 
 
Der weise Richter

An einem Wintertag führte man einem weisen Polizeirichter einen alten, vor Kälte zitternden Mann vor. Man hatte ihn in einem Laden beim Diebstahl eines Brotes ertappt. Sein Hunger trieb ihn einfach dazu. La Guardia sah sich an das Gesetz gebunden, das keine Ausnahme duldet. Deshalb verurteilte er den Mann zu einer Geldstrafe von zehn Dollar. Dann aber griff er in die eigene Tasche und bezahlte den Betrag an Stelle des Angeklagten. Er warf die Zehndollarnote in seinen grauen Filzhut. Daraufhin wandte er sich an die Anwesenden im Gerichtssaal und bestrafte jeden einzelnen von ihnen mit einem Bußgeld von fünfzig Cent und begründete die Strafe mit dem Hinweis, dass sie in einer Stadt leben würden, wo sich ein Mensch zum Brotdiebstahl genötigt sieht, um nicht zu verhungern. Die Geldstrafe wurde sofort vom Gerichtsdiener mit dem grauen Filzhut kassiert und dem Angeklagten übergeben. Dieser traute seinen Augen nicht. Er verließ den Gerichtssaal mit 47 Dollar und 50 Cent.

 
 
Halb voll oder halb leer

Eine junge Lehrerin arbeitete an einem Samstagnachmittag in ihrem Garten. Zufällig sah sie, wie eine ihrer l2jährigen Schülerinnen am Tor vorbeikam. Da das Kind einen sehr gedrückten Eindruck machte, rief die Lehrerin es herein. Das Mädchen erzählte von einer "schrecklichen Enttäuschung", die sein ganzes Leben "zerstören" würde. Daraufhin nahm die Lehrerin das Mädchen mit in die Küche, nahm eine Tasse, ließ Wasser hineinlaufen und fragte: "Ist die Tasse halb voll oder halb leer?" "Beides", antwortete das Mädchen. "Ganz recht", bestätigte die Lehrerin. "Schau, genau so ist auch das Leben keines Menschen ganz voll oder ganz leer. Jeder von uns hat seine Freuden und seine Sorgen, und ob das Leben traurig oder glücklich ist, hängt ganz von unserer Einstellung ab."

 
 
Es allen recht machen wollen

Ein Mann reitet auf einem Esel nach Hause und lässt seinen Buben zu Fuß nebenher laufen. Kommt ein Wanderer und sagt: "Das ist nicht recht, Vater, dass Ihr reitet und lasst Euren Sohn laufen Ihr habt stärkere Glieder." Da stieg der Vater vom Esel herab und ließ den Sohn reiten. Kommt wieder ein Wandersmann und sagt: "Das ist nicht recht, Bursche, dass du reitest und lässest deinen Vater zu Fuß gehen. Du hast jüngere Beine." Da saßen beide auf und ritten eine Strecke. Kommt ein dritter Wandersmann und sagt: "Was ist das für ein Unverstand, zwei Kerle auf einem schwachen Tiere? Sollte man nicht einen Stock nehmen und euch beide hinabjagen?" Da stiegen beide ab und gingen zu Fuß, rechts und links der Vater und Sohn und in der Mitte der Esel. Kommt ein vierter Wandersmann und sagt: "Ihr seid drei kuriose Gesellen. Ist's nicht genug, wenn zwei zu Fuß gehen? Geht ,5 nicht leichter, wenn einer von euch reitet?" Da banden sie dem Esel erst die vorderen und dann die hinteren Beine zusammen, zogen einen starken Baumpfahl durch, der an der Straße stand, und trugen den Esel auf der Achsel heim.

 
 
Geld verdirbt die Sitten

"Rebbe, ich verstehe das nicht: Kommt man zu einem Armen, der ist freundlich und hilft, wo er kann. Kommt man aber zu einem Reichen, der sieht einen nicht mal. Was ist das bloß mit dem Geld?"

Da sagt der Rabbi: "Tritt ans Fenster! Was siehst du?"

"Ich sehe eine Frau mit einem Kind. Und einen Wagen, der zum Markt fährt."

"Gut. Und jetzt tritt vor den Spiegel. Was siehst du?"

"Nu, Rebbe, was werd' ich sehen? Mich selber."

"Nun siehst du: Das Fenster ist aus Glas gemacht, und der Spiegel ist aus Glas gemacht. Man braucht bloß ein bisschen Silber dahinter zu legen, schon sieht man nur noch sich selbst."

 
 
Kriege haben nur Verlierer

Achims Auge ist blau wie ein Tintenfass. Und von den Lippen tropft Blut auf den Fußboden. Horst betastet vorsichtig seine Schultern und betrachtet sein zerrissenes Hemd. So stehen sie nun beide vor dem Lehrer. "Und wer hat angefangen?" fragt der Lehrer im strengen Ton.

"Der Horst!" - "Der Achim!" rufen beide wie aus einem Munde. Der Lehrer unterdrückt ein Lächeln. "Also keiner hat angefangen", stellt er fest. "Und um was ging es?" Achim meldet sich zuerst: "Horst hat gesagt, dass ich seinen Kugelschreiber fortgenommen hätte."

"Das hast du ja auch getan!" ruft Horst dazwischen.

"Nein, ich hab, es nicht getan!" verteidigt sich Achim. Der Lehrer unterbricht die beiden Streithähne: "So, und da ihr euch nicht einigen konntet, habt ihr angefangen, euch zu schlagen?"

Beide Jungen nicken. "Na", fragt der Lehrer, "und was hat die Prügelei bewiesen?"

 
 
Der Prinz und sein Schatten

Ein Märchen: Ein reicher Prinz liebte schöne Kleider, goldene Spangen und kostbare Ringe. So geschmückt zeigte er sich nur am Morgen, wenn die Sonne ihm ins Angesicht schien, seinem Volke, und er war glücklich, wenn alles funkelte und glänzte und die Menschen ihm zujubelten.

Einmal trat der Prinz am späten Nachmittag vor sein Volk. Die Sonne stand in seinem Rücken, und der junge Mann sah zum ersten Male seinen eigenen Schatten. Da überkam ihn ein unbändiger Zorn. Sofort ließ er sein Pferd satteln. Er wollte fort. Als Prinz konnte er nicht in einem Land herrschen, über das sein Schatten fiel. Er wollte da leben, wo es keinen Schatten gibt. So ritt er davon. Er reitet noch heute.

(Wir müssen mit unserem Schatten, unserem Leid und unserer Schuld leben; können uns aber bemühen, dass unser Schatten nicht auf den anderen fällt.)

 
 
Jeden Tag ein wenig

Kenneth Smith hatte sieben Minuten Pause zwischen seinen Fahnen als Straßenbahnführer in Baltimore. Der große Platz, wo seine Fahrt endete, war mit dickem Gebüsch und Gestrüpp bewachsen. Herr Smith beschloss, seine sieben freien Minuten der Arbeit zu widmen.

Am Ende jeder Fahrt arbeitete er und rodete die Büsche und das Unkraut. Langsam verwandelte er den Platz, der eine Augenschande gewesen war, in einen Garten.

Rote Eichen und Pappeln stehen jetzt dort, umgeben von mexikanischen Rosen, Petunien, Zinnien und Veilchen. Weiche Rasenflächen sind mit weißgetünchten Feldsteinen umrandet. Kies- und Aschenwege führen zu einem Picknickplatz.

 
 
Kleinglaube

Rüffel in einer Negerkirche des amerikanischen Mittelwestens: "Euer Unglaube, Schwestern und Brüder, ist ein Skandal! Wir sind hier versammelt, um ein Bittgebet an den Himmel zu richten, er möge uns nach der langen Trockenheit Regen schicken. Und was sehe ich? Nicht einer von Euch hat für den Heimweg einen Schirm mitgebracht."

 
 
Nie aufgeben!

Als Benjamin Franklin einmal gefragt wurde, warum er eine Sache trotz großer Hindernisse nicht aufgebe, gab er einen Ratschlag, den alle beherzigen sollten, die versucht sind zu verzagen, wenn sie für eine gute Sache arbeiten. "Haben Sie schon einmal einen Steinmetzen bei der Arbeit beobachtet?" fragte er. "Er schlägt vielleicht hundertmal auf die gleiche Stelle, ohne dass auch nur der kleinste Riss sichtbar würde. Aber dann, beim hundertundersten Schlag, springt der Stein plötzlich entzwei. Es ist jedoch nicht dieser eine Schlag, der den Erfolg bringt, sondern die hundert, die ihm vorhergingen. "

 
 
Dazugelernt

Zu einem Mann, der recht klug war, kam einmal ein Junge und sagte: "Ich verstehe mich mit meinen Eltern nicht mehr. Jeden Tag Streit. Sie sind so rückständig. Sie haben keinen Sinn für Modernes. Was soll ich machen? Ich laufe aus dem Haus!"

Der Mann antwortete: "Junger Freund, ich kann dich gut verstehen. Als ich so alt war wie du, waren meine Eltern genauso ungebildet. Es war nicht auszuhalten. Aber du musst Geduld mit den alten Leuten haben. Sie entwickeln sich langsamer. Nach zehn Jahren hatten sie schon so viel dazugelernt, dass man sich schon ganz vernünftig mit ihnen unterhalten konnte. Und was soll ich dir sagen? Heute, nach zwanzig Jahren - ob du es glaubst oder nicht - wenn ich keinen Rat weiß, dann frage ich meine alten Eltern. So können die sich ändern!"

 
 
Sich selbst gerettet

Als ich mit einem Tibetaner im Gebirge im Schneesturm wanderte, sah ich einen Mann, der im Schnee den Abhang hinuntergestürzt war. Ich sagte: "Wir müssen hingehen und ihm helfen." Er erwiderte: "Niemand kann von uns verlangen, dass wir uns um ihn bemühen, während wir selber in Gefahr sind umzukommen." "Immerhin", antwortete ich, "wenn wir schon sterben müssen, ist es gut, wir sterben, während wir anderen helfen." Er wandte sich ab und ging seines Weges. Ich stieg zu dem verunglückten Mann hinunter, hob ihn mühsam auf meine Schultern und trug ihn bergan. Durch diese Anstrengung wurde mir warm, und meine Wärme übertrug sich auf den vor Kälte steifen Verunglückten. Unterwegs fand ich meinen früheren Begleiter im Schnee liegen. Müde, wie er war, hatte er sich niedergelegt und war erfroren. - Ich hatte einen Menschen retten wollen, aber ich rettete mich selbst.

 
 
Sonne und Sturm stritten sich

Sonne und Sturm stritten um die Wette, wer wohl die meiste Kraft habe, einem armen Wandersmann den Mantel abzunehmen. Zuerst fing der Sturm mächtig an zu blasen. Sofort hüllte sich der Wanderer fester in seinen Mantel. Der Sturm blies noch kräftiger: Der Wanderer hielt den Mantel fest mit den Händen zu. Schließlich gab der Sturm auf.

Da kam die Sonne an die Reihe: Sie fing an zu scheinen, und schon wurde dem Wanderer zu warm. Er begann zu schwitzen und zog den Mantel aus.

 
 
Schenken macht nicht ärmer

Die Sonne zog am Himmel hin, heiter und stolz auf ihrem Feuerwagen. Voller Freude streute sie ihre goldenen Strahlen nach allen Seiten, zum großen Ärger einer grauen, schlechtgelaunten Wolke, die murrte: "Verschwenderin, Vergeuderin, wirf deine goldenen Strahlen nur weg, wirf sie nur weg, du wirst schon sehen, was du am Schluss übrigbehältst." Jede kleine Traube, die im Weinberg auf ihrem Rebstock reifte, holte sich in der Minute einen goldenen Sonnenstrahl, ja sogar zwei, und da waren kein Grashalm, keine Spinne, keine Blume, kein Wassertropfen, die sich nicht ihren Teil Sonne genommen hätten.

"Lass dich nur von allen ausrauben, du wirst schon sehen, wie sie dir dafür danken, später, wenn du nichts mehr hast", brummte die Wolke. Die Sonne aber setzte fröhlich ihre Reise fort und verschenkte großmütig ihre Strahlen nach rechts und links, Millionen, Milliarden goldene Strahlen. Erst als die Dämmerung heraufkam, zählte sie die Strahler die ihr geblieben waren: Und schaut her! Es fehlte ihr nicht einer. Keiner. Nicht ein einziger. Die graue Wolke aber, von Staunen und Zorn übermannt, platzte in lauter eisige Hagelschloßen auseinander. Die Sonne aber tauchte fröhlich ins Meer.

 
 
Das Jesus- und Judasgesicht

An der Abschlusswand des Klosterrefektoriums von Santa Maria delle Grazie zu Mailand befindet sich das weltberühmt gewordene Abendmahlsbild von Leonardo da Vinci (1452-1519). Als der Künstler, so wird erzählt, die ersten Porträtstudien zu diesem Fresko machte, fand er zuerst einen jungen Mann, der ihm für das Antlitz Christi Modell stand. Danach skizzierte er ein Jahr lang die Apostelfiguren. Schließlich fehlte ihm nur noch der Entwurf zum Judas. Lange suchte er nach einem Gesicht, aus dem unverkennbar innerer Verrat und Zerfall sprachen. Nach mehreren Monaten fand er in einer üblen Mailänder Taverne das Modell, das er suchte. Im Verlauf der Malerarbeiten offenbarte sich der Mann mit dem Judas-Gesicht: Er war jener, der zuvor dem Künstler zum Antlitz Christi Modell gestanden hatte.

 
 
Warten können

Eine Geschichte aus China erzählt: Ein Mann hatte seinen kleinen Acker gut vorbereitet, gepflügt und gesät. Er wunderte sich nur nach ein paar Wochen, dass die Saat so langsam aufging. Bei seinem Nachbarn sah er schon kräftigen grünen Wuchs! Von Tag zu Tag wurde seine Geduld geringer. Er konnte vor Sorge nicht mehr schlafen. Schließlich hatte er eine wahnwitzige Idee. Er lief zu seinem Feld und begann, die kleinen zarten Halme etwas in die Höhe zu ziehen. Das war natürlich eine mühsame Arbeit; aber schließlich war er fertig. Er traf unterwegs seinen Nachbarn und sagte ihm, dass er seinem Korn beim Wachsen geholfen habe. Neugierig geworden, liefen sie zu seinem Feld und sahen alles zerstört und verwelkt. - Und noch lange lachte man im Dorf über den Mann, der nicht warten konnte.

 
 

Wenn ich stehe, dann stehe ich

Ein in Meditation erfahrener Mann wurde einmal gefragt, warum er trotz seiner vielen Beschäftigungen immer so gesammelt sein könne. Dieser sagte:

"Wenn ich stehe, dann stehe ich. Wenn ich gehe, dann gehe ich. Wenn ich sitze, dann sitze ich. Wenn ich esse, dann esse ich. Wenn ich spreche, dann spreche ich ..."

Da fielen ihm die Fragesteller ins Wort und sagten: "Das tun wir auch, aber was machst du noch darüber hinaus?" Er sagte wiederum:

"Wenn ich stehe, dann stehe ich. Wenn ich gehe, dann gehe ich. Wenn ich sitze, dann sitze ich. Wenn ich esse, dann esse ich. Wenn ich spreche, dann spreche ich. Wenn ich bete, dann bete ich."

Wieder sagten die Leute: "Das tun wir doch auch."

Er aber sagte zu ihnen: "Nein. Wenn ihr betet, seid ihr schon wieder bei euren Geschäften. Wenn ihr sitzt, dann steht ihr schon. Wenn ihr steht, dann lauft ihr schon. Wenn ihr lauft, dann seid ihr schon am Ziel ..."

 
 

Wenn man einen liebhat, beißt er nicht

Ich machte einen Besuch in der riesigen Heil- und Pflegeanstalt Bethel (über 3000 Kranke). Als ich gerade durchs Hoftor eintrat, steht da mitten im Weg ein großer Hund mit fürchterlichem Gebiss und wütenden Augen. Ich überlege noch, ob ich weitergehen soll. Da sehe ich, wie aus einem anliegenden Haus ein Junge kommt, einer der epileptischen Pflegebefohlenen, und auf den Hund zugeht, um ihn zu streicheln. Mir will das Herz stehen bleiben. Entsetzt rufe ich: "Halt, Junge, der Hund ist böse." Aber unbekümmert dreht der Junge sich mir zu und sagt: "Wenn man ihn liebhat, beißt er nicht." Da hatte ich meine Lektion.

 
 
Der bessere Weg

Ein kleiner Junge, der auf Besuch bei seinem Großvater war, fand eine kleine Landschildkröte und ging gleich daran, sie zu untersuchen. Im gleichen Moment zog sich die Schildkröte in ihren Panzer zurück und der Junge versuchte vergebens, sie mit einem Stöckchen herauszuholen.

Der Großvater hatte ihm zugesehen und hinderte ihn, das Tier weiter zu quälen. "Das ist falsch", sagte er, "komm, ich zeig, dir, wie man das macht." Er nahm die Schildkröte mit ins Haus und setzte sie auf den warmen Kachelofen. In wenigen Minuten wurde das Tier warm, steckte seinen Kopf und seine Füße heraus und kroch auf den Jungen zu.

"Menschen sind manchmal wie Schildkröten", sagte der alte Mann. "Versuche niemals, jemanden zu zwingen. Wärme ihn nur mit etwas Güte auf, und er wird sicherlich tun, was du möchtest."

 
 
 
 
 
Die Löffel

Ein Rabbi bat Gott: "Lass mich doch einmal einen Blick in den Himmel tun und in die Hölle!" Gott erfüllte seinen Wunsch und sandte seinen Propheten Elija als Führer. Der Prophet führte den Rabbi in eine große Halle. In der Mitte brannte ein Feuer und wärmte einen Topf mit einem Gericht, das den ganzen Raum mit seinem köstlichen Duft erfüllte. Um diese verheißungsvolle Speise waren Menschen versammelt, und ein jeder hatte einen langen Löffel an ihren Händen gebunden. Doch sie sahen hungrig aus, grau, fröstelnd, hinfällig. Denn die Löffel waren viel länger als ihre Arme, so dass sie ihren Mund damit nicht erreichen konnten. Freudlos und missgünstig schweigend schauten sie mit leeren Augen vor sich hin. Erschrocken und aufgewühlt ließ sich der Rabbi von diesem gespenstischen Ort hinwegführen. Er hatte genug von der Hölle gesehen.

Der Prophet führte ihn nun in einen anderen Raum. Oder war es der gleiche? Alles sah ganz genauso aus: der Kessel mit der duftenden Köstlichkeit über dem Feuer, die Menschen rund um den Herd, die gleichen überlangen Löffel. Nein, es war nicht der gleiche Raum. Die Menschen aßen. Sie sahen glücklich aus, gesund, zufrieden, voller Leben. Fröhliches Stimmengewirr und herzliches Lachen erfüllte den Raum. Das musste das himmlische Paradies sein. Doch was machte diesen gewaltigen Unterschied aus? Die Menschen hier wandten sich einander zu. Jeder benutzte seinen riesigen Löffel, um einem anderen die Speise anzureichen. Jeder blieb besorgt, dass ein anderer satt wurde. Und so erhielt auch er selbst sein Essen, konnte satt werden und genießen.

 
 
Die Raupen

Da war einmal ein guter Mensch. Er hatte Mitleid mit dem hässlichen Gewürm der Raupen, wie sie sich Stunde für Stunde vorwärts plagten, um mühselig den Stängel zu erklettern und ihr Fressen zu suchen - keine Ahnung von der Sonne, dem Regenbogen in den Wolken, den Liedern der Nachtigall! Und der Mensch dachte: Wenn diese Raupen wüssten, was da einmal sein wird! Wenn diese Raupen ahnten, was ihnen als Schmetterling blühen wird: Sie würden ganz anders leben, froher, zuversichtlicher, mit mehr Hoffnung. Sie würden erkennen: Das Leben besteht nicht nur aus Fressen und der Tod ist nicht das Letzte.

So dachte der gute Mensch, und er wollte ihnen sagen: Ihr werdet frei sein! Ihr werdet eure Schwerfälligkeit verlieren! Ihr werdet mühelos fliegen und Blüten finden! Und ihr werdet schön sein!

Aber die Raupen hörten nicht. Das Zukünftige, das Schmetterlinghafte ließ sich in der Raupensprache einfach nicht ausdrücken. - Er versuchte, Vergleiche zu finden: Es wird sein wie auf einem Feld voller Möhrenkraut... Und sie nickten, und mit ihrem Raupenhorizont dachten sie nur ans endlose Fressen.

Nein, so ging es nicht. Und als der gute Mensch neu anfing: Ihr Puppensarg sei nicht das Letzte, sie würden sich verwandeln, über Nacht würden ihnen Flügel wachsen, sie würden leuchten wie Gold - da sagten sie: Hau ab! Du spinnst! Du hältst uns nur vom Fressen ab! - Und sie taten sich zusammen, um ihn lächerlich zu machen.

 
 
Ein Hund kennt sein Herrchen

Der Schwerkranke ergriff die Hand des Arztes. "Mir ist so bange vor dem Sterben. Sagen Sie mir doch, Herr Doktor, was wartet auf mich nach dem Tode? Wie wird es auf der anderen Seite aussehen?"

"Ich weiß es nicht", antwortete der Arzt.

"Sie wissen es nicht?" flüsterte der Sterbende.

Statt eine weitere Antwort zu geben, öffnete der Arzt die Tür zum Gang. Da lief ein Hund herein, sprang an ihm hoch und zeigte auf jede Weise, dass er sich freute, seinen Herrn wiederzusehen.

Jetzt wandte sich der Arzt dem Kranken zu und sagte:

"Haben Sie das Verhalten des Hundes beobachtet? Er war vorher noch nie in diesem Raum und kennt nicht die Menschen, die hier wohnen. Aber er wusste, dass sein Herr auf der anderen Seite der Tür ist, darum sprang er fröhlich herein, sobald die Tür aufging. – Sehen Sie, ich weiß auch nichts Näheres, was nach dem Tod auf uns wartet; aber es genügt mir, zu wissen, das mein Herr und Meister auf der anderen Seite ist. Darum werde ich, wenn eines Tages die Tür sich öffnet, mit großer Freude hinübergehen."

 
 
Die Zwillinge

Im Bauch einer schwangeren Frau waren einmal eineiige Zwillinge. Obwohl sie einander vollkommen glichen, war ihre Einstellung sehr unterschiedlich: Der eine war eher skeptisch eingestellt, der andere gläubig. Oder vielleicht eher realistisch?

Als die Wochen vergingen und schließlich zu Monaten wurden, merkten sie
plötzlich, wie sehr sie sich verändert hatten.

„Was soll das heißen?" fragte der eine.

„Das heißt", antwortete der andere, „dass unser Aufenthalt in dieser Welt
bald seinem Ende zugeht".

„Aber ich will gar nicht gehen", erwiderte der eine, „ich möchte für immer
hier bleiben".

„Wir haben keine andere Wahl", entgegnete der andere, „aber vielleicht gibt
es ein Leben nach der Geburt!"

„Wie könnte das sein?" fragte zweifelnd der erste, „vor uns haben andere diese Welt verlassen, und niemand von ihnen ist zurückgekommen und hat uns gesagt, dass es ein Leben nach der Geburt gibt. Nein, die Geburt ist das Ende!"

„Ich weiß auch nicht so genau, wie das Leben nach der Geburt aussieht, aber wir werden dann unsere Mutter sehen und sie wird für uns sorgen.“

„Mutter?!? Du glaubst an eine Mutter? Wo ist sie denn bitte?“

„Na hier, überall um uns herum. Wir sind und leben in ihr und durch sie. Ohne sie könnten wir gar nicht sein.“

„Quatsch! Von einer Mutter habe ich ja noch nie was gemerkt, also gibt es sie auch nicht. Sie lebt nur in unserer Vorstellung. Wir haben sie uns erdacht, weil wir dadurch unser Leben besser verstehen können.“

„Manchmal, wenn wir ganz still sind, kannst du sie singen hören. Oder spüren, wenn sie unsere Welt streichelt. Ich glaube auf jeden Fall, dass unser eigentliches Leben erst dann beginnt!“

So fiel der eine von ihnen in tiefen Kummer und sagte: „Wenn das Leben
mit der Geburt endet, welchen Sinn hat dann das Leben? Es ist
sinnlos!"

„Aber sie muss doch existieren", protestierte der andere, „wie sollten wir
sonst hier hergekommen sein. Und wie könnten wir am Leben bleiben?"

Und so waren die letzten Tage im Schoß der Mutter gefüllt mit vielen Fragen
und großer Angst.

Schließlich kam der Moment der Geburt. Als die Zwillinge ihre Welt verlassen
hatten, öffneten sie ihre Augen. Sie schrieen. Was sie sahen, übertraf ihre kühnsten Träume.

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